Krankenhausvergütung trotz Fehlbelegung? – Das BSG sagt ,,Ja‘‘
Urteil des Bundessozialgerichts vom 19.11.2019, Aktenzeichen: B 1 KR 13/19 R
Man könnte meinen dem Bundessozialgericht stand am Morgen des 19.11.2019 der Sinn danach seine bisherigen Auffassungen zur Vergütung einer Fehlbelegung (und nebenbei auch die gesetzliche Wertung) über den Haufen zu werfen und lediglich eine rechtsfolgenorientierte Entscheidung zu treffen. Dies ist jedoch nur auf den ersten Blick so, denn tatsächlich ist die hier getroffene Entscheidung eine derer, die häufiger in falschem, als in korrektem Kontext zitiert werden. Der Grund hierfür dürfte darin liegen, dass sie bei den meisten Medizincontrollern im Krankenhaus den Wunsch nach der Vergütung einer Krankenhausbehandlung im Zeitpunkt der sekundären Fehlbelegung erfüllt, wenn das Krankenhaus weiter behandeln muss, weil es den Patienten nicht nach Hause entlassen kann.
Der Fall lag wie folgt:
Das nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses behandelte den bei der beklagten Krankenkasse Versicherten wegen der Hauptdiagnose J44.12 (COPD). Auf den durch die Klägerin veranlassten Antrag vom 30.12.2009 bewilligte die Beklagte am 07.01.2010 eine stationäre Anschlussheilbehandlung, vorzugsweise in der Lungenfachklinik in P., fragte bei der Reha-Einrichtung an, wann der Versicherte aufgenommen werden könne und informierte die Klägerin (Telefax vom 19.1.2010 mit Datum vom 18.1.2010), dass sie ab 27.1.2010 die Kosten der Anschlussheilbehandlung in der Reha-Einrichtung übernehmen werde. Die Klägerin entließ den Versicherten am 27.1.2010 aus der stationären Behandlung zur nahtlosen Aufnahme in die Reha-Einrichtung. Das Krankenhaus stellte die Behandlungskosten der Krankenversicherung in Rechnung. Diese beauftragte den MDK, welcher feststellte, dass eine stationäre Behandlungsnotwendigkeit zumindest ab dem 42. Tag nicht mehr gegeben sei. Das Krankenhaus macht jedoch geltend, der Versicherte habe bei Erreichen der oberen Grenzverweildauer weder nach Hause entlassen noch einer Kurzzeitpflegeeinrichtung noch einer nicht auf Lungenkrankheiten spezialisierten Reha-Einrichtung anvertraut werden können. In diesem Sinne sei die stationäre Behandlung weiterhin aus medizinischen Gründen erforderlich gewesen, auch wenn der Versicherte schon vor Erreichen der OGVD in die Reha-Einrichtung hätte verlegt werden können, sofern ein Behandlungsplatz zur Verfügung gestanden hätte. Die fehlende Verlegungsmöglichkeit war letztlich unstreitig.
Obgleich es sich hier auf den ersten Blick um ein organisatorisches Defizit handelt, welches grundsätzlich nicht zu Lasten der Krankenversicherung gewertet werden darf, bestätigte das BSG den Vergütungsanspruch. So heißt es kurz und knapp im Leitsatz:
Ein Krankenhaus hat Anspruch auf Notfallvergütung, wenn es Versicherte stationär versorgt, weil sie zwar nicht mehr der Krankenhausbehandlung, wohl aber stationärer medizinischer Reha bedürfen, sie aber nicht erhalten, obwohl ambulante Behandlung nicht ausreicht.
Dieses Ergebnis vermag zunächst zu verwundern, entspricht jedoch einer engen Auslegung des Gesetzes. Als Rechtsgrundlage des Vergütungsanspruchs zieht das BSG den Rechtsgedanken des § 76 Abs 1 S. 2 SGB V heran. In diesem wird normiert, dass andere als zugelassene Einrichtungen nur in Notfällen durch die Versicherten in Anspruch genommen werden dürfen. In Notfällen greift die Einschränkung des § 76 Abs 1 S. 1 SGB V demnach gerade nicht durch.
In der Folge stellt das BSG eine planwidrige Regelungslücke fest. Der Gesetzgeber habe hiernach die seltene Problematik der Notfälle bei Leistungen der stationären Reha übersehen und unbewusst nicht geregelt. Allerdings gehe es auch bei der stationären Reha im Einzelfall um unverzichtbare medizinische Leistungen, die im Notfall auch durch nicht zugelassene Leistungserbringer sichergestellt werden sollen. Die Wertung des § 76 Abs. 1 S. 2 SGB V müsse demnach entsprechend angewandt werden.
Bei genauer Betrachtung ist dieses Ergebnis auch durch § 40 Abs. 2 SGB V gewollt. Dieser lautet auszugsweise wie folgt:
(2) Reicht die Leistung nach Absatz 1 nicht aus, so erbringt die Krankenkasse erforderliche stationäre Rehabilitation mit Unterkunft und Verpflegung in einer nach § 37 Absatz 3 des Neunten Buches zertifizierten Rehabilitationseinrichtung, mit der ein Vertrag nach § 111 besteht.
Hier ist normiert, dass die Krankenkasse grundsätzlich die medizinische Rehabilitation zu erbringen hat. Kann sie dies nicht und muss daher das Krankenhaus weiter behandeln, erscheint es auch hiernach interessengerecht, dass die Krankenkasse, die entsprechend hierauf entfallenden Kosten zu tragen hat.
Obgleich hiermit eine Entscheidung vorliegt, die erstmalig zur Vergütung eines Anspruchs trotz sekundärer Fehlbelegung führt, muss angemerkt werden, dass das BSG lediglich einen sehr seltenen Spezialfall beurteilt hat. Nicht anwendbar ist das Urteil daher gerade auf die häufigen Fälle der fehlenden Verlegungsmöglichkeit aufgrund des Platzmangels in Pflegeheimen, Wohngemeinschaften oder Rehabilitationsmaßnahmen, die nicht unter die medizinische Reha fallen.