Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 12. März 2012, AZ: 3 O 446/20
Coronabedingte Betriebsschließung + Vorliegen einer Betriebsschließungsversicherung = Betriebsschließungsversicherung zahlt. Oder?
Entscheidend ist insoweit die Auslegung der dem jeweiligen Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Bedingungen.
Das Landgericht Stuttgart musste sich unter dem Aktenzeichen 3 O 446/20 mit besagter Problematik befassen und erregte mit seinem Urteil vom 12.03.2021 einiges an Aufmerksamkeit. Rechtssicherheit wird wohl erst obergerichtliche und höchstrichterliche Rechtsprechung bringen.
Sachverhalt:
Im konkreten Fall hatte die Klägerin für ihren Gastronomiebetrieb, bestehend aus drei Sparten (s. u.) eine Betriebsschließungsversicherung abgeschlossen. Dieser lagen die „Verbundenen Versicherungsbedingungen für die Firmen Sachversicherung (VFS 2016)“ („AVB“) zugrunde. Die von der beklagten Versicherung übernommene Haftzeit bei behördlich angeordneten Betriebsschließungen betrug 30 Schließungstage. Die Parteien vereinbarten bei einer Betriebsschließung eine Tagesentschädigung in Höhe von € 2.892,86. Die Klägerin musste hinsichtlich ihres versicherten Betriebs aufgrund der „Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (Corona-Verordnung – CoronaVO)“ der Baden-Württembergischen Landesregierung vom 20. März 2020, den Gastronomiebetrieb im Zeitraum vom 21. März bis 18. Mai 2020, den Hotelbetrieb im Zeitraum vom 21. März 2020 bis 29. Mai 2020, sowie den Cateringbetrieb im Zeitraum vom 21. März bis 10. Juni 2020 schließen. Der Klägerin entstand infolge der Betriebsschließung ein versicherter Schaden in Höhe von € 86.785,80. Die beklagte Versicherung lehnte die Zahlung ab.
Urteil:
So nicht! hat das Landgericht Stuttgart entschieden: Die Begründung des Versicherers, die Krankheitserreger „Coronavirus“ bzw. „SARS CoV“ seien nicht in den AVB als solchen aufgeführt und auch dem Verweis auf das IfSG nicht zu entnehmen, wurde durch das erkennende Gericht verworfen. Nach der Rechtsauffassung des Gerichts darf der durchschnittliche Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche und infektionsepidemiologische Spezialkenntnisse die Klausel
„Meldepflichtige Krankheiten oder Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die folgenden, im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger“
als dynamischen Verweis auf den jeweils aktuellen-, vom Infektionsseuchengesetz definierten und nicht abgeschlossenen Katalog verstehen. Durch § 1 CoronaVMeldeV vom 30.1.2020 ist der Kreis der nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 IfSG und § 7 Absatz 1 IfSG namentlich zu meldenden Erkrankungen bzw. Krankheitserreger auf das Corona-Virus ausgedehnt worden. Damit konnten von den Behörden Maßnahmen auf §§ 6 und 7 IfSG gestützt werden, auch wenn erst mit Wirkung vom 23.5.2020 das Corona-Virus in die Kataloge von §§ 6 und 7 IfSG aufgenommen worden ist.
Differenzieren die AVB zwischen Schließung des Betriebes und Schließung einer Betriebsstätte, so beziehen sich der Begriff Betrieb nach Auslegung durch den durchschnittlichen Versicherungsnehmer laut Landgericht Stuttgart auf die Unternehmung und die Stätte auf ein Teilglied der einzelnen Unternehmung. Eine Schließung des (kompletten) Betriebs ist bereits dann anzunehmen, wenn die wesentlichen Betriebsstätten, wie etwa Restaurant und Beherbergungsmöglichkeit schließen müssen und es lediglich beim Catering-Service verbleibt.
Fazit:
Dem ist insbesondere vor folgenden Hintergrund zuzustimmen: Wäre die Verweisklausel auf die im IfSG genannten Krankheiten nicht dynamisch zu verstehen, so würde der Versicherungsschutz im Falle einer Betriebsschließung unter Umständen vom Zufall abhängen. Zur Erzielung sachgerechter Ergebnisse müssen die AVB vielmehr nach Maßgabe der aktuellen Lage, die – wie am Beispiel der Corona-Pandemie deutlich geworden – bisweilen blitzartig eintreten kann, ausgelegt werden. Insoweit liegt es gleichfalls im Interesse des Versicherers, seine Bedingungen nicht bei jeder Gesetzesänderung des IfSG neu fassen- und anpassen zu müssen. Nur ein (dynamischer) Verweis auf den jeweils aktuellen Gesetzesstand kann folglich zu einem sachgemäßen Interessenausgleich der beteiligten Parteien führen.
Das Landgericht Stuttgart schließt sich damit der Rechtsauffassung des LG Düsseldorf (Urteil vom 19. Februar 2021, AZ: 40 O 53/20 – wir berichteten) an und widerspricht damit der bisher wohl überwiegenden Rechtsanschauung, exemplarisch: LG Oldenburg – Urteil vom 14.10.2020, 13 O 2068/20 – LG Ravensburg – Urteil vom 12.10.2020, 6 O 190/20 – LG Ellwangen – Urteil vom 17.09.2020, 3 O 187/20.