Vorsicht beim Aussteigen!
Innerstädtischer Straßenverkehr
Jeder Autofahrer kennt es: Parkplätze sind rar, die Straßen sind voll und Platz ist sowieso Mangelware. Zwischen Kita und Büro noch schnell in der zweiten Reihe gehalten, um beim Bäcker ein belegtes Brötchen zu holen. Gleichzeitig noch einmal gedanklich die Agenda des nächsten Jour-Fixe-Termins zusammengefasst und unachtsam die Tür geöffnet …*RUMMS*
Immer wieder kommt es zu Unfallereignissen, weil die Insassen eines Pkw unachtsam aussteigen. Hier kann es zur Haftung der Unfallbeteiligten kommen.
Rechtslage
Nach § 14 Abs. 1 StVO hat sich jede Person, die aus einem Kfz aussteigt, so zu verhalten, dass die übrigen Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet werden. Dabei ist das Ein- und Aussteigen grundsätzlich überall, d. h. auch im laufenden Straßenverkehr erlaubt. § 14 StVO normiert lediglich, dass der Ein- und Aussteigvorgang nur dann vorgenommen werden soll, wenn eine Gefährdung Dritter durch das Ein- oder Aussteigen ausgeschlossen werden kann.
Die Anforderung des § 14 StVO gilt für die gesamte Dauer des Ein- oder Aussteigens, d. h. bis die Fahrzeugtür geschlossen ist. Dabei hat der fließende Verkehr hier Vorrecht, was zwingend von dem Ein- oder Aussteigenden zu beachten ist. Diesem ist es dem Ein- bzw. Aussteigenden zuzumuten, den Verkehr gegebenenfalls im Spiegel zu beobachten und sicherzugehen, dass auch der rückwärtige Verkehr nicht beeinträchtigt werden kann.
§ 14 Abs. 1 StVO spricht nur von der Gefährdung. Daraus wird deutlich, dass nicht auch die Behinderung anderer Verkehrsteilnehmer durch das Öffnen der Tür und durch das Ein- oder Aussteigen einen Verstoß gegen die aus § 14 StVO folgende Sorgfaltspflicht darstellt. Beispielhaft kann eine bloße Behinderung gegeben sein, wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer durch die geöffnete Tür zwar an der Weiterfahrt gehindert wird, dieser die Situation jedoch rechtzeitig erkennen und entsprechend handeln kann, beispielhaft durch einen Spurwechsel.
Gegenseitige Rücksichtnahmepflichten
Rücksichtnahmepflichten treffen dabei nicht lediglich den Verkehrsteilnehmer, der anhält: Vielmehr darf auch derjenige, der das anhaltende Fahrzeug passiert nur dann an diesem vorbeifahren, wenn ein ausreichender Seitenabstand eingehalten werden kann. So entschied das Amtsgericht Frankenthal in seinem Urteil vom Urteil vom 26.06.2020 – 3c C 61/19, dass ein Abstand von 30 cm bis 35 cm jedenfalls zu gering sei und den Vorbeifahrenden dann ein Mitverschulden trifft, soweit es zur Kollision kommt.
Auch Teilschuld möglich
Die Rechtsprechung hat sich immer wieder mit solchen Fällen zu befassen. Sie kommt in vielen Fällen zu dem Ergebnis, dass beide Verkehrsteilnehmer eine Teilhaftung trifft. Dabei sind die gegenseitigen Verursachungsbeiträge gemäß § 17 Abs. 3 StVG gegeneinander abzuwägen, soweit für beide Unfallparteien der Unfall kein unabwendbares Ereignis war. Infolge des Verstoßes gegen § 14 Abs. 1 StVO erhöht sich die Betriebsgefahr desjenigen, der unachtsam aus seinem Fahrzeug aussteigt, d. h. sein Haftungsanteil wächst an. Ist das Unfallereignis ausschließlich auf einen Verstoß gegen § 14 Abs. 1 StVO zurückzuführen kann dies zur Haftung allein des Aussteigenden führen.
Angemessener Sicherheitsabstand
Eine besondere Gefahr lauert in diesen Fällen bei dem unachtsamen Aussteigen am Straßenrand bzw. Radweg, bei dem Radfahrer nicht unerheblich verletzt werden können. Dabei treffen selbstverständlich auch den Radfahrer Rücksichtnahmepflichten aus § 1 Abs .2 StVO. Hieraus folgt, dass der Radfahrer einen Sicherheitsabstand bei dem Passieren haltender oder parkender Fahrzeuge einzuhalten hat. Dabei gibt es keine festgelegte gesetzliche Regelung, wie groß dieser Abstand zu sein hat.
Die Rechtsprechung sieht hier einen Abstand von 1m als ausreichend an, 45cm hingegen nicht (vgl. OLG Jena Urt. v. 28.10.2008 – 5 U 596/06, VD 2009, 187; KG Berlin Beschl. v. 20.9.2010 – 12 U 216/09, SVR 2011, 147). Soweit der Radfahrer keine für ihn erkennbaren Anhaltspunkte dafür hat, dass das Fahrzeug, an dem er vorbeifährt, gleich eine Tür öffnet, ist dies für den Radfahrer überraschend. Er braucht mit dem Öffnen der Tür nicht zurechnen und trägt daher keine Mithaftung.
Vermutung: Türöffnung ist ursächlich für Unfall
Zu beachten ist, dass in allen Fällen, in denen es infolge einer geöffneten Tür zum Unfall kommt, der Beweis des ersten Anscheins für eine fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzung aus § 14 Abs. 1 StVO spricht. Dementsprechend muss der Ein- bzw. Aussteigende darlegen und beweisen, dass eine andere Ursache zum Unfall geführt hat.