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Sehr geehrte Damen und Herren,

am 28.08.2024 hat der 1. Senat des BSG wieder getagt und die nächsten Entscheidungen zum Krankenhausvergütungsrecht wurden verkündet. Die Urteilsbegründungen liegen bislang nicht vor. Nachfolgend daher die jeweiligen Terminsberichte über die drei maßgeblichen Verfahren. Gleichgelagerte Parallelverfahren haben wir in Klammern angegeben.

B 1 KR 23/23 R

Das klagende Krankenhaus behandelte 2016 jeweils eine Versicherte der beklagten Krankenkasse vollstationär. Die Krankenkasse bezahlte jeweils die hierfür in Rechnung gestellte Vergütung und beauftragte den (damaligen) Medizinischen Dienst der Krankenversicherung mit einer Prüfung des Behandlungsfalls. Im Ergebnis der Prüfung rechnete sie einen Teil des Rechnungsbetrags mit einer anderen unstreitigen Forderung des Krankenhauses auf. Im nachfolgenden Klageverfahren gab die Beklagte ein Anerkenntnis ab, welches die Klägerin annahm. Im Jahr 2021 forderte die Klägerin von der Beklagten die Zahlung einer Aufwandspauschale von 300 Euro. Die Beklagte verweigerte die Zahlung und erhob im Klageverfahren die Einrede der Verjährung. Das Sozialgericht hat die Beklagte zur Zahlung der Aufwandspauschale nebst Zinsen verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung hat das Landessozialgericht zurückgewiesen. Der Anspruch auf Zahlung der Aufwandspauschale sei erst mit Eingang des Anerkenntnisses beim Sozialgericht entstanden. Erst zu diesem Zeitpunkt habe festgestanden, dass das maßgebliche Ereignis – Unterbleiben einer Minderung des Abrechnungsbetrages infolge der Abrechnungsprüfung – eingetreten sei. Ungeachtet der Frage, ob der Anspruch einer zweijährigen oder einer vierjährigen Verjährung unterliege, sei dieser bei Klageerhebung nicht verjährt gewesen.

Der Senat hat die Revision der Beklagten zurückgewiesen. Der Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Aufwandspauschale nach § 275 Absatz 1c Satz 3 SGB V war bei Klageerhebung im März 2021 nicht verjährt. Dieser Anspruch ist erst mit dem Zugang des von der Beklagten abgegebenen Anerkenntnisses beim Sozialgericht im November 2020 entstanden. Der Anspruch auf die Aufwandspauschale entsteht, sobald eine Abrechnungsminderung bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise jedenfalls faktisch ausgeschlossen ist. Die Richtigkeit des vom Krankenhaus abgerechneten Betrages ist insofern ohne Belang. Der Eintritt einer Abrechnungsminderung ist ausgeschlossen, wenn die Krankenkasse wie hier in einem gerichtlichen Verfahren den ungeminderten Abrechnungsbetrag anerkennt. Die Beklagte hat im November 2020 ein Anerkenntnis abgegeben. Damit entstand auch der Anspruch auf die Aufwandspauschale. Die für die Aufwandspauschale analog geltende zweijährige Verjährungsfrist nach § 109 Absatz 5 Satz 1 SGB V endete am 31. Dezember 2022 und war bei Klageerhebung nicht abgelaufen.

(ebenso: B 1 KR 24/23 R)

B 1 KR 33/23 R

Die Klägerin behandelte einen bei der beklagten Krankenkasse Versicherten im Juni 2017 stationär. Nach den am Aufnahmetag erfolgten zwei Notfallrevisionen zur Entlastung beidseitiger Schädelhämatome sank dessen Fibrinogen-Wert auf 1,5 g/l und damit unter den Referenzwert von 2,1 bis 4 g/l. Die Klägerin nahm eine Substitution vor, so dass der Fibrinogen-Wert einen Tag später wieder im Normbereich lag. Die Klägerin berechnete der Beklagten für die Behandlung des Versicherten 38 115,67 Euro nach der Fallpauschale DRG A13B und kodierte hierfür unter anderem als Nebendiagnose ICD-10-GM D65.0 (erworbene Afibrinogenämie). Die Beklagte beglich den Rechnungsbetrag und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung mit einer Überprüfung der Nebendiagnosen. Am 26. März 2018 übersandte die Beklagte ihre leistungsrechtliche Entscheidung an die Klägerin mit folgendem Wortlaut: “Die Abrechnung wird beanstandet. Die Nebendiagnose D65.0 ist zu streichen. Somit ist die DRG A13D abzurechnen. Bitte schreiben Sie uns den Betrag gut und schicken uns eine korrigierte Abrechnung. Erhalten wir diese nicht innerhalb der 4 Wochenfrist nach § 10 Prüfverfahrensvereinbarung, werden wir den Fall gemäß MDK-Gutachten abrechnen. Im April 2018 rechnete die Beklagte mit einem Betrag in Höhe von 8 841,71 Euro auf.

Das Sozialgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 8 841,71 Euro nebst Zinsen verurteilt. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin geltend gemacht, die Beklagte habe den Erstattungsanspruch entgegen § 8 Satz 1 der Prüfverfahrensvereinbarung 2016 nicht mitgeteilt. Das Landessozialgericht hat das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der Erstattungsanspruch lasse sich für die Klägerin aus den mitgeteilten wesentlichen Gründen für die Rechnungskürzung gemäß § 8 Satz 2 der Prüfverfahrensvereinbarung hinreichend konkretisieren. Eine Afibrinogenämie habe nicht vorgelegen.

Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 17c Absatz 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz in Verbindung mit § 8 Satz 1 und § 10 Prüfverfahrensvereinbarung 2016 sowie § 109 Absatz 4 Satz 3 SGB V, §§ 7 und 9 Krankenhausentgeltgesetz, § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz in Verbindung mit der Fallpauschalenvereinbarung 2017.

Die Revision der Klägerin hatte insoweit Erfolg, als der Senat das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen hat. Das Landessozialgericht hat zwar zu Recht entschieden, dass die Nebendiagnose ICD-10-GM D 65.0 (erworbene Afibrinogenämie) nicht zu kodieren und daher die Fallpauschale A13D abzurechnen war. Der Senat konnte aber nicht abschließend über die Wirksamkeit der von der Beklagten erklärten Aufrechnung entscheiden. Die Wirksamkeit der Aufrechnung setzt nach § 10 Satz 1 Prüfverfahrensvereinbarung (PrüfvV) 2016 die fristgerechte Mitteilung des bezifferten Erstattungsanspruchs nach § 8 PrüfvV 2016 voraus. Die bloße Bezifferbarkeit anhand der von der Krankenkasse mitgeteilten abschließenden Entscheidung ist nicht ausreichend. Dem Berufen der Klägerin auf die fehlende Bezifferung des Erstattungsanspruchs könnte jedoch der Einwand unzulässiger Rechtsausübung entgegenstehen. Hat ein Krankenhaus in der Vergangenheit jedenfalls wiederholt Aufrechnungen einer Krankenkasse ohne Bezifferung des Erstattungsanspruchs akzeptiert, kann es treuwidrig sein, wenn es sich ohne vorherige Ankündigung erstmals nach Ablauf der Ausschlussfrist auf das Fehlen der fristgerechten Bezifferung des Erstattungsanspruchs beruft. Die Ankündigung muss ausdrücklich oder konkludent erkennen lassen, dass eine Beanstandung nicht nur in einem Einzelfall vorliegt, sondern für die Zukunft alle Abrechnungsfälle betreffen soll. Hierzu hat das Landessozialgericht keine Feststellungen getroffen.

B 1 KR 18/23 R

Die Klägerin behandelte einen Versicherten der Beklagten im März 2021 stationär wegen einer Wirbelsäulenerkrankung. Die Beklagte beglich die Rechnung in Höhe von 1048,04 Euro und beauftragte den Medizinischen Dienst mit einer Prüfung der Erforderlichkeit der stationären Behandlung, die dieser verneinte. Am 1. Dezember 2021 rechnete die Beklagte den gesamten Rechnungsbetrag gegen einen unstrittigen Vergütungsanspruch der Klägerin auf.

Das Sozialgericht hat die Beklagte zur Zahlung des streitigen Betrags nebst Zinsen verurteilt. Der von der Beklagten erklärten Aufrechnung stehe das Aufrechnungsverbot gemäß § 109 Absatz 6 SGB V entgegen. Die nach der Übergangsprüfverfahrensvereinbarung zur Prüfverfahrensvereinbarung vom 10.12.2019 vorgesehene generelle Zulässigkeit von Aufrechnungen über den 1. Januar 2020 hinaus sei nicht mit § 109 Absatz 6 Satz 1 SGB V vereinbar, weil hierdurch das gesetzliche Aufrechnungsverbot vollständig ausgehebelt werde.

Mit ihrer vom Sozialgericht zugelassenen Sprungrevision rügt die Beklagte sinngemäß eine Verletzung von § 109 Absatz 6 Satz 3 SGB V.

Die Revision der Beklagten hatte insoweit Erfolg, als der Senat das Urteil des Sozialgerichts aufgehoben und die Sache an dieses zurückverwiesen hat. Der von der Beklagten erklärten Aufrechnung steht nicht das Aufrechnungsverbot nach § 109 Absatz 6 Satz 1 SGB V entgegen. Die in der Übergangsprüfverfahrensvereinbarung für einen Übergangszeitraum geregelte Weitergeltung der Aufrechnungsmöglichkeit nach der Prüfverfahrensvereinbarung 2016 ist mit höherrangigem Recht vereinbar. § 109 Absatz 6 Satz 3 SGB V erlaubt nicht nur die Vereinbarung von Ausnahmen zum Aufrechnungsverbot, sondern lässt abweichende Regelungen grundsätzlich zu. Damit überlässt der Gesetzgeber die Realisierung des Aufrechnungsverbots letztlich den Vereinbarungspartnern, stärkt aber durch die Normierung des Aufrechnungsverbots die Verhandlungsposition der Deutschen Krankenhausgesellschaft. Die Vereinbarung, das Aufrechnungsverbot übergangsweise zu suspendieren, überschreitet die Grenzen des den Vertragsparteien der Prüfverfahrensvereinbarung zugewiesenen normvertraglichen Gestaltungsspielraums jedenfalls nicht. Der Senat kann aber auf Grundlage der Feststellungen des Sozialgerichts nicht abschließend entscheiden, ob der Beklagten der aufgerechnete Erstattungsanspruch zustand.

(ebenso: B 1 KR 24/24 R, B 1 KR 25/24 R und B 1 KR 23/24 R)