Beweislastumkehr bei medizinischem Fehlverhalten
Primärschaden und Beweismaßstab
Das Oberlandesgericht Oldenburg hat mit Urteil vom 07. Februar 2024, Aktenzeichen: 5 U 33/23, über die Beweislastumkehr und den Primärschaden im medizinischen Haftungsrecht entschieden.
Fehldiagnostizierter Schlaganfall
Der Kläger erlitt im Alter von fünf Jahren einen Schlaganfall, der zunächst von den Behandlern der Beklagten als epileptischer Anfall fehldiagnostiziert wurde. Obwohl eine Elektroenzephalografie (EEG) keine typischen Anzeichen für Epilepsie zeigte, wurde erst nach über sieben Stunden eine Magnetresonanztomographie (MRT) durchgeführt. Diese ergab einen Verdacht auf einen Schlaganfall. Eine Angiografie bestätigte den Verdacht auf einen Infarkt infolge einer Vaskulitis. Als Dauerschäden blieben eine Hemiparese, ein Spasmus und eine Dystonie zurück.
Schäden seien nicht eindeutig auf die verzögerte Diagnose zurückzuführen
Das Landgericht holte ein neuopädiatrisches Gutachten ein. Dieses stellte zwar einen groben Befunderhebungsfehler fest, konnte jedoch keine klare Ursächlichkeit zwischen der verzögerten Diagnose und den Schäden des Klägers feststellen. Es wurde argumentiert, dass die Schäden des Klägers als Sekundärschäden zu betrachten seien. Der Kläger widersprach dieser Einschätzung und bezog sich auf Äußerungen eines Privatgutachters, der eine größere Wahrscheinlichkeit sah, dass die Schäden des Klägers geringer ausgefallen wären, wenn eine frühere und rechtzeitige Behandlung erfolgt wäre.
Kläger fordert Obergutachten
Die Berufung des Klägers richtete sich gegen die Bewertung des Sachverständigen, dass die verzögerte Diagnose keine oder nur minimale Auswirkungen auf den heutigen Gesundheitszustand des Klägers gehabt habe. Er argumentierte, dass eine frühere Behandlung die Folgen des Schlaganfalls hätte verringern können und dass die Bewertung des Sachverständigen widersprüchlich sei. Der Kläger forderte die Einholung eines Obergutachtens, um diese Frage zu klären.
Beweislastumkehr zulasten der Beklagten
Das Berufungsgericht entschied, dass das landgerichtliche Urteil geändert werden muss, um die Haftung der Beklagten für die Schädigung des Klägers infolge der verzögerten MRT-Untersuchung festzustellen.
Das Berufungsgericht entschied, dass das landgerichtliche Urteil geändert werden muss, um die Haftung der Beklagten für die Schädigung des Klägers infolge der verzögerten MRT-Untersuchung festzustellen. Es wurde festgestellt, dass ein grober Befunderhebungsfehler vorlag, da die MRT-Untersuchung nicht rechtzeitig durchgeführt wurde, obwohl dies nach einer vorherigen EEG-Untersuchung hätte geschehen sollen. Das Gericht kehrte die Beweislast um, sodass nun die Beklagte nachweisen musste, dass die Verzögerung der MRT-Untersuchung nicht zur Schädigung des Klägers beigetragen hat.
Nachweis über fehlende Kausalität konnte nicht erbracht werden
Um diese Frage zu klären, unterschied das Gericht zwischen Primärschaden und Folgeschäden. Es betrachtete den Primärschaden als die organische Schädigung des Hirns, die durch die Verengung der Hirngefäße infolge einer Vaskulitis verursacht wurde. Die Beklagte konnte nicht nachweisen, dass die verspätete Behandlung nicht zur Schädigung des Klägers beigetragen hat. Die Ausführungen des Sachverständigen wurden als überzeugend angesehen und unterstützten die Argumentation des Klägers.
Feststellungsantrag wurde stattgegeben
Das Gericht folgerte daraus, dass die Beklagte haftet und dem Feststellungsantrag des Klägers stattgegeben wurde, was bedeutet, dass die Haftung der Beklagten offiziell festgestellt wurde. Allerdings wurde der Zahlungsantrag des Klägers zurückverwiesen. Dies geschah, weil eine sachverständige Begutachtung erforderlich ist, um Art und Ausmaß der Schadensfolgen genau zu bestimmen.
Die Beweislage entscheidet in haftungsrechtlichen Rechtsstreitigkeiten häufig über Sieg oder Niederlage – Wir beraten Sie gerne hinsichtlich der sich für Sie daraus ergebenden Erfolgsaussichten.