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Die neue alte Rechtsprechung des BSG zur Abrechenbarkeit von Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB)

Urteil des BSG vom 25.03.2021, B 1 KR 25/20 R

Mit Urteil vom 25.03.2021 hat das Bundessozialgericht seine vorherige, hoch umstrittene Rechtsprechung hinsichtlich der Abrechenbarkeit von NUBs aufgegeben und insbesondere die Erfüllung des Qualitätsgebots nach § 2 SGB V nicht mehr zur Abrechenbarkeitsvoraussetzung gemacht. Die Urteilsbegründung wurde zwischenzeitlich veröffentlicht, weshalb wir Ihnen die wesentlichen Grundsätze der Entscheidung nachfolgend gerne darstellen.

Sachverhalt:

Streitgegenständlich war die Kostenerstattung einer Patientin für zwei stationär durchgeführte Liposuktionen in den Jahren 2016 und 2017. Die beklagte Krankenkasse lehnte eine Kostenerstattung nach Einholung eines MDK-Gutachtens mit der Begründung ab, stationäre Liposuktionen gehörten nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV); sie erfüllten das auch für den Anspruch auf Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V geltende Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V nicht. § 137c Abs. 3 SGB V senke das Qualitätsgebot nicht ab. Auch aus§ 2 Abs. 1a und § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V ergebe sich kein Kostenerstattungsanspruch.

Die ersten beiden Instanzen verlor die Klägerin, rügte sodann bei ihrer Revision vor dem BSG u.a. eine Verletzung des§ 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V.

Entscheidung des BSG:

Das BSG folgte der Klägerin, hob das vorinstanzliche Urteil auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurück. Seine Entscheidung begründete das BSG insbesondere wie folgt:

Der Anspruch der Klägerin scheitert nicht schon daran, dass die Liposuktionen im maßgeblichen Zeitpunkt der Behandlung nicht den Anforderungen an das allgemeine Qualitätsgebot des § 2 Abs 1 Satz 3 SGB V entsprachen. § 137c Abs 3 SGB V schränkt dieses partiell ein. Die gesetzlichen Reglungen zur Erprobung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und der in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers machen jedoch deutlich, dass bei der Anwendung solcher Methoden die Teilhabe an medizinischen Innovationen und der Patientenschutz in einen angemessenen Ausgleich gebracht werden sollen. Dies gebietet es, bei noch nicht existenten Erprobungsrichtlinien des GBA den Anspruch auf Potentialleistungen auf die Fälle schwerwiegender Erkrankungen nach Ausschöpfung der Standardtherapien zu beschränken. Im Übrigen gelten die allgemeinen Begrenzungen des Anspruchs auf vollstationäre Behandlung.

Nach § 137c Abs. 3 SGB V i.d.F. des GKV-VSG dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der GBA bisher keine Entscheidung nach§ 137c Abs. 1 SGB V getroffen hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, die Behandlungsalternative also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach Abs. 1 Satz 1 gestellt worden ist, als auch für Methoden, deren Bewertung nach Abs. 1 – wie hier bei Durchführung der Liposuktionen 2016/2017 – noch nicht abgeschlossen ist, insbesondere für die der GBA auch noch keine Erprobungsrichtlinie beschlossen hat.

Die Regelungen nach§ 137c Abs. 3 SGB V über Ansprüche auf Leistungen, die das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative haben, eröffnet den Versicherten einen vom allgemeinen Qualitätsgebot abweichenden Anspruch auf Krankenhausbehandlung nach einem abgesenkten Qualitätsgebot, dem Potentialmaßstab. Der Senat gibt seine bisherige Rechtsprechung auf, soweit er außerhalb von Erprobungsrichtlinien für den Anspruch Versicherter auf Krankenhausbehandlungen auch nach Inkrafttreten des§ 137c Abs. 3 SGB V für die dabei eingesetzten Methoden den vollen Nutzennachweis im Sinne eines evidenzgestützten Konsenses der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute verlangt hat.

Die partielle Einschränkung des allgemeinen Qualitätsgebots des § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V durch § 137c Abs. 3 SGB V folgt aus dem Wortlaut der Regelung sowie ihrer Entstehungsgeschichte und befindet sich im Einklang mit dem Regelungssystem des SGB V.

Ein auf § 137c SGB V gestützter Anspruch setzt voraus, dass die begehrte Leistung das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative i.S. des § 137c Abs. 1 Satz 2 und 3 SGB V bieten muss. Die daran zu stellenden Anforderungen hat der GBA in seiner Verfahrensordnung konkretisiert (2. Kap § 14 Abs. 3 und 4 der Verfahrensordnung des GBA). Die dort festgeschriebenen Maßstäbe sind auch für die Auslegung des § 137c Abs. 3 SGB V heranzuziehen.

Potentialleistungen dürfen demnach vor Erlass einer Erprobungsrichtlinie nur dann angewendet werden, wenn die Abwägung von Chancen und Risiken zugunsten der Potentialleistung ausfällt. Dies ist dann der Fall, wenn im einzelnen Behandlungsfall eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt, für die nach dem jeweiligen Behandlungsziel eine Standardtherapie nicht oder nicht mehr verfügbar ist.

Nach dem Wortlaut des § 137c SGB V muss es sich zudem bei der neuen Methode um eine „erforderliche“ Behandlungsalternative handeln. An dieser „Erforderlichkeit“ fehlt es, solange eine Standardtherapie zur Verfügung steht und Risiken existieren, die sich aus dem Einsatz innovativer Methoden (nur) mit dem Potential, nicht aber mit der Gewissheit einer erforderlichen Behandlungsalternative für die Patienten ergeben können. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sie nicht hinreichend durch eine vorläufige Einschätzung des GBA sowie durch besondere Anforderungen an die Struktur- und Prozessqualität abgesichert sind.

Eine andere Standardtherapie ist dann nicht verfügbar, wenn alle in Betracht kommenden Standardbehandlungen kontraindiziert sind oder sich als unwirksam erwiesen haben. § 137c Abs. 3 Satz 1 SGB V verlangt, dass die Potentialleistungen medizinisch indiziert und notwendig sein müssen. Das damit insgesamt angesprochene Wirtschaftlichkeitsgebot des § 12 Abs. 1 SGB V erfordert bei mehreren zur Verfügung stehenden Behandlungsalternativen, den Weg des gesicherten Nutzens zu wählen. Das Individualinteresse der Versicherten an einer wirkungsvollen und qualitätsgesicherten Behandlung und an einem Schutz vor vermeidbaren Gesundheitsgefahren korrespondiert insofern mit dem öffentlichen Interesse an einem verantwortungsvollen Umgang mit den beschränkten Mitteln der Beitragszahler.

Kann danach bereichsspezifisch der Potentialmaßstab zur Anwendung kommen, gelten die übrigen Voraussetzungen des Anspruchs auf Krankenhausbehandlung uneingeschränkt. Insbesondere ist auch weiterhin ein Anspruch auf vollstationäre Krankenhausbehandlung nach § 39 Abs 1 Satz 2 SGB V nur dann gegeben, wenn die Aufnahme durch das Krankenhaus erforderlich ist, weil das Behandlungsziel nicht durch teilstationäre, vor- und nachstationäre oder ambulante Behandlung einschließlich häuslicher Krankenpflege erreicht werden kann. Ist eine ambulante Behandlung aus medizinischen Gründen nicht ausgeschlossen, besteht kein Anspruch auf eine vollstationäre Behandlung. Dies gilt auch dann, wenn zur Erreichung des Behandlungsziels mehr Behandlungsschritte in einem längeren Zeitraum erforderlich sind als bei vollstationärer Behandlung.

Fazit:

Mit dem Urteil orientiert sich das BSG nunmehr richtigerweise wieder am Willen des Gesetzgebers und wendet diesen anhand der diesbezüglichen Vorschriften an. Für viele noch laufende Klageverfahren wird dieses Urteil von Bedeutung sein, da die Erfüllung des Qualitätsgebotes für NUBen ab sofort Geschichte ist und die Fälle neu zu bewerten sein werden.

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