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Kein Erfordernis eines Kostenübernahmeantrags vor Durchführung einer Cochlea-Implantation

SG Wiesbaden – Bescheid vom 01.12.2020 Az.: S 18 KR 247/19

 

Man könnte meinen, es handelt sich bei der Frage der Vergütung von Cochlea-Implantationen um einen alten Hut, dennoch warf die Argumentation einer Krankenkasse vor dem Sozialgericht Wiesbaden eine interessante Frage auf, die das Sozialgericht in Begründungsschwierigkeiten brachte. Dieses hat letztlich eine vertretbare, politisch motivierte Entscheidung getroffen und zumindest die nächste Klagewelle verhindert.

Sachverhalt

 

Der Sachverhalt ist mit wenigen Worten skizziert:

Bei dem Patienten lag eine einseitige Taubheit – links, bei Normalhörigkeit auf der rechten Seite vor. Eine Hörgeräteversorgung war bislang nicht erfolgt. Behandlungsziel war, das Richtungshören wiederherzustellen. Es erfolgte eine Cochleaimplantation auf der linken Seite. Der MDK empfahl die Implantation nicht zu vergüten, woraufhin die Krankenkasse im Rahmen der Klagewelle zum 09.11.2018 Klage vor dem Sozialgericht Wiesbaden erhoben hat. Das im Rechtstreit eingeholte Sachverständigengutachten bestätigte sodann die medizinische Notwendigkeit der Implantation. Ebenfalls stellte der Gutachter fest, dass das Cochleaimplantat kein Hilfsmittel darstelle und somit nicht zu beantragen sei. Es handele sich vielmehr um ein Körperersatzteil.

 

Argumentation des Gutachters:

 

Zumindest letztgenanntem kann rechtlich nicht gefolgt werden. Ein Körperersatzteil stellt gerade ein Hilfsmittel im Sinne von § 33 SGB V dar. Dies besagt bereits dessen Wortlaut in Absatz I Satz 1.

[…]Versicherte haben Anspruch auf Versorgung mit Hörhilfen, Körperersatzstücken, orthopädischen und anderen Hilfsmitteln[…]

 

Entsprechendes vertrat in dem Rechtsstreit auch die Krankenkasse, was juristisch auch zutreffend ist. Denn der Wortlaut geht hiernach offensichtlich von einem Hilfsmittel aus, da explizit fortgeführt wird mit ,,und andere Hilfsmittel‘‘. Wenn der Gesetzeswortlaut die Körperersatzteile nicht als Hilfsmittel klassifiziert sehen möchte, würde der Wortlaut ,,und/oder Hilfsmitteln‘‘ lauten. Der Wortlaut zeigt jedoch, dass es die hier genannten Hilfsmittel gibt und darüber hinaus noch weitere.

Dass diese Auffassung auch korrekt ist, beweist auch im Sinne der Einheitlichkeit der Rechtsordnung § 47 SGB IX. Dieser lautet im Absatz 1 auszugsweise wie folgt:

„Hilfsmittel (Körperersatzstücke sowie orthopädische und andere Hilfsmittel) nach § 42 Absatz 2 Nummer 6 umfassen die Hilfen, die von den Leistungsberechtigten getragen oder mitgeführt oder bei einem Wohnungswechsel mitgenommen werden können und unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles erforderlich sind, …“

 

Auch hier werden Körperersatzstücke eindeutig als Hilfsmittel klassifiziert, die erst benannt und sodann in der Klammer genauer ausgeführt werden. Eine Unterscheidung zwischen Körperersatzstücke und Hilfsmittel ist daher rechtlich nicht möglich und nicht sinnvoll, als es sich bei Körperersatzstücke um Hilfsmittel handelt. Die gleiche Auffassung vertrat im Übrigen auch das SG Aachen (Urteil vom 18.02.2010 – S 15 (21) KR 12/07) und das LSG Thüringen (Beschluss vom 23.09.2015 – L 6 KR 1447/14).

Die Krankenkasse war nach dieser zunächst korrekten Feststellung der Auffassung, dass nach Klassifizierung als Hilfsmittel eine Antragstellung notwendig sei und der § 33 Abs. 5a SGB V sowie der § 13 Abs. 3a SGB V heranzuziehen seien. Letzterer sei wie folgt kurz zitiert:

„Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. …“

 

Gem. § 13 Abs. 3a SGB V muss die Kasse nach Antragstellung grds. binnen 3 bzw. 5 Wochen über diesen entscheiden. Vorliegend wurde jedoch vor der Implantation überhaupt kein Antrag auf Kostenzusage gestellt. Die Antragstellung wurde sowohl vom Patienten als auch vom Krankenhaus versäumt.

Sofern nunmehr allein die medizinische Indikation ausschlaggebend für die Vergütung des Cochlea-Implantats sei, wäre die hier normierte Antragstellung vollkommen bedeutungslos. Um die gewünschte Leistung zu erhalten, müsse sich der Versicherte lediglich ins Krankenhaus begeben und sich die Leistung besorgen. Im Weiteren könne dann das Krankenhaus die Kosten abrechnen ohne, dass jemals ein Antrag gestellt worden ist. Diese dann mögliche problemlose Umgehung des Antragserfordernisses sei jedoch nicht die Intention des Gesetzgebers. Mithilfe der Antragstellung sei es bereits früh möglich den zutreffenden Kostenschuldner einer medizinischen Leistung in Erfahrung zu bringen. Werde ein Antrag nicht gestellt, der im Übrigen auch regelmäßig in anderen Fällen über den Sozialdienst der Klinik gestellt wird, der gerade dazu da sei einen Patienten in dieser Hinsicht zu beraten, so bestehe die Möglichkeit vorab den richtigen Kostenschuldner festzustellen nicht mehr. Diese Problematik werde hierdurch rechtswidrig in das MDK-Verfahren verschoben, wo eine Leistungspflicht der Krankenkasse nicht aufgrund dieses Versäumnisses eintreten könne. Die Kostenträger würden somit in eine Kostenpflicht gedrängt ohne den Fall bisher bewertet haben zu können.

Das Krankenhaus vertrat hingegen lediglich die Auffassung, dass die Antragstellung lediglich in das Verhältnis Krankenversicherung-Patient falle.

Das Sozialgericht Wiesbaden hat die Frage der Notwendigkeit der Antragstellung sodann wie folgt beantwortet:

„Nimmt der Versicherte Krankenhausbehandlung nach dem 3. Abschnitt des 4. Kapitels des SGB V durch ein zugelassenes Krankenhaus (§108 SGB V) in Anspruch, wird der Anspruch des Versicherten durch Sachleistung erfüllt und etwaige Streitigkeiten über die Erbringung und Vergütung der Leistung sind zwischen Krankenkasse und Krankenhaus auszutragen. Von Versicherten, die diesen Beschaffungsweg einhalten, kann eine zusätzliche Antragstellung gegenüber der Krankenkasse nicht erwartet werden.“

 

Wertung

 

Bemerkenswert knapp ging das Sozialgericht Wiesbaden nicht von einer Antragstellung aus, ohne hierfür das rechtliche Problem dogmatisch gelöst zu haben. Denn zugestanden werden muss in dieser Konstellation der Argumentation der Krankenkasse zumindest, dass der Gesetzgeber sich das Antragserfordernis hätte sparen können und, dass in der Tat fraglich ist, warum dieses existiert, sofern der Patient die Leistung ohne Inanspruchnahme erhalten kann, mit der automatischen Folge der Kostenpflicht. Bei genauer Betrachtung übersieht das Gericht ebenfalls, dass die Norm zumindest auch vor einer übereilten Leistungspflicht der Krankenkasse und somit Belastung der Versichertengemeinschaft schützen soll und eine verbindliche Zahlungspflicht bereits landesvertraglich geregelt ist. Demnach muss die Krankenkasse in Vorleistung treten und im Nachgang den Fall überprüfen und sich sodann der Gefahr eines Rechtsstreits aussetzen um nicht von Vornherein durch Ausschlussfristen ihrem Anspruch verlustig zu gehen.

 

Fazit

 

Obgleich der Gerichtsbescheid in politischer Hinsicht demnach sicher zu einem um Rechtsfrieden bemühten und somit auch wünschenswerten Ergebnis kommt, kann dies nicht über die Begründungsarmut hinwegtäuschen. Es wäre wünschenswert gewesen, dass sich das Sozialgericht Wiesbaden zu den hier aufgeworfenen Fragen detailliert äußert, um den Parteien für die Zukunft eine umfassende nachvollziehbare Einschätzung durch die Rechtsprechung zu liefern, sodass diese für die Handhabung ihrer täglichen Arbeit von Anfang an eine Handlungsrichtung einhalten können, um spätere Probleme in Form von Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden. Alles in allem bleibt abzuwarten, wie die Krankenversicherungen in Zukunft die Vergütung von Cochlea-Implantaten umsetzen.

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