Schadensersatz bei Verlegung ohne sachlichen Grund
Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen bestätigt die Rechtsprechung des Sozialgerichts Duisburg
Das Sozialgericht (SG) Duisburg hatte mit seinem Urteil vom 14.02.2020, AZ: S 44 KR 379/17, für Aufsehen gesorgt. Nach Ansicht der 44. Kammer steht der Krankenkasse ein Schadensersatzanspruch gegen ein Krankenhaus zu, wenn dieses einen Patienten ohne sachlichen Grund verlegt.
Das Landessozialgericht (LSG) NRW (Urteil vom 19.01.2022 – L 10 KR 142/20) hat diese Rechtsprechung nun dem Grunde nach bestätigt.
Sachverhalt:
Das beklagte Krankenhaus A hatte den Patienten P im Zeitraum vom 27.07.2016 bis 01.09.2016 akutstationär behandelt. P. wurde dann am 01.09.2016 zur geriatrischen Weiterbehandlung in das Krankenhaus B verlegt. Aus welchen Gründen P für die unstreitig erforderliche geriatrische Komplexbehandlung letztlich nicht in das Geriatrie-Zentrum des Krankenhauses A, sondern in das aufnehmende Krankenhaus B verlegt wurde, ließ sich der Patientenakte nicht entnehmen noch sonst nachvollziehen oder aufklären. Da es sich aus Sicht der Krankenkasse um eine grundlose Verlegung handelte, machte diese klageweise geltend, dass ihr in der Differenz zwischen den Kosten einer durchgehenden Behandlung im Krankenhaus A und den Kosten, die durch die Verlegung in das Krankenhaus B zusätzlich angefallen waren, ein Schaden entstanden sei. Mit der grundlosen Verlegung habe A seine Pflichten gegenüber der Krankenkasse verletzt. Namentlich stehe der Versorgungsauftrag und damit § 109 Abs. 4 S. 2 SGB V einer grundlosen Verlegung entgegen. Hiernach sei das zugelassene Krankenhaus im Rahmen seines Versorgungsauftrages zur Krankenhausbehandlung verpflichtet. Hierzu gehöre gem. § 39 Abs. 1 S. 3 SGB V auch die Frührehabilitation. Weder Ausweitung noch Einschränkung der zu erbringenden Krankenhausleistungen seien ohne weiteres möglich. Dies widerspräche dem Sinn und Zweck der Krankenhausplanung durch Feststellungsbescheide, die bedarfsgerechte Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Außerdem bestehe ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch. Die Krankenkasse habe nur die Kosten zu tragen, die bei einem wirtschaftlichen Alternativverhalten angefallen wären. Das SG gab der Klage statt und verurteilte A, € 3.553,65 an die Krankenkasse zurückzuzahlen.
Begründung:
Das erstinstanzliche Gericht leitete den Schadensersatzanspruch aus § 69 S. 3 SGB V i.V.m. § 280 BGB ab. Die Voraussetzungen des § 69 S. 3 SGB V für die entsprechende Anwendung des § 280 Abs. 1 BGB auf das Behandlungsverhältnis zwischen Krankenkasse und zugelassenem Krankenhaus bei Behandlung Versicherter seien erfüllt. Die stationäre Behandlung Versicherter in einem zugelassenen Krankenhaus begründe zwischen seinem Träger und der Krankenkasse ein gesetzliches öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis, auf das § 280 Abs. 1 BGB anzuwenden ist. Danach kann der Gläubiger, wenn der Schuldner eine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt, Ersatz des hierdurch entstehenden Schadens verlangen. Dies gilt gem. § 280 Abs. 1 S. 2 BGB nicht, wenn der Schuldner die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Der Annahme einer Pflichtverletzung steht nach Ansicht des SG nicht die FPV 2016 entgegen. Die FPV 2016 verhalte sich ebenso wenig zu den Pflichten im bestehenden Schuldverhältnis wie zu einem Schadensersatz. So beschränkt sich die Ermächtigung zum Erlass der FPV 2016 lediglich auf die „Vergütung“. Da von A nicht auch nur im Ansatz ein sachlicher Grund für die Verlegung vorgetragen wurde noch sich sonst Anhaltspunkte dafür ergeben hätten, war A der Entlastungsbeweis nicht gelungen. Mithin war auch ein Vertretenmüssen im Sinne des § 280 Abs. 1 S. 2 BGB gegeben. Medizinische Gründe für die Verlegung seien nicht geltend gemacht worden und es bestünden hierfür auch keine Anhaltspunkte.
Berufungsbegründung:
Das Krankenhaus legte gegen die erstinstanzliche Entscheidung Berufung ein.
In seinem Urteil vom 19.01.2022 bestätigte das LSG NRW die erstinstanzliche Rechtsprechung jedoch dem Grunde nach. Lediglich die Höhe des Schadensersatzes wurde leicht nach unten korrigiert.
Das LSG bestätigt zunächst einmal die Anspruchsgrundlage in § 69 S. 3 SGB V i.V.m. § 280 BGB und führt dann noch ergänzend aus, dass die in § 1 Abs. 1 S. 2 und 3 FPV 2016 getroffenen Regelungen der Anwendbarkeit von § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i.V.m. § 280 Abs. 1 BGB nicht entgegenstehen. Denn diese Vorschriften beinhalten lediglich Abrechnungsbestimmungen für DRG-Fallpauschalen und damit zur ordnungsgemäßen Abrechnung erbrachter Leistungen. Sie treffen indes keine Regelungen zu etwaigen Schadensersatzansprüchen bei Pflichtverletzungen im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses. Die FPV als Vertragsrecht kann Schadensersatzansprüche der Krankenkassen bei schuldhafter Schädigung durch Krankenhäuser mithin nicht ausschließen.
Aussichten:
Das LSG NRW hat zwar die Revision zum BSG nicht zugelassen. Das beklagte Krankenhaus hat jedoch den Weg der Nichtzulassungsbeschwerde gewählt. Diese ist unter dem Aktenzeichen B 1 KR 18/22 R beim BSG anhängig. Es bleibt abzuwarten, ob der 1. Senat die Revision zulässt. Eine höchstrichterliche Entscheidung zur dargestellten Thematik wäre jedenfalls wünschenswert.
Fazit:
Die Verlegung eines Patienten/einer Patientin ohne sachlichen Grund kann einen Schadensersatzanspruch der Krankenkasse begründen. Verfügt ein Krankenhaus über den entsprechenden Versorgungsauftrag, müssen sich in der Behandlungsdokumentation nachvollziehbare Gründe finden lassen, die die Verlegung rechtfertigen und aufzeigen, warum eine Weiterbehandlung im eigenen Haus gerade nicht möglich war.