Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hat in seinem Urteil vom 19.03.2024, Az.: 7 U 93/23 einem Opfer eines Verkehrsunfalles teilweise Schadenersatz zugesprochen für einen Unfall, bei dem der Kläger physische und psychische Verletzungen erlitt. Der Kläger zog sich eine Rippenfraktur zu, die später diagnostiziert wurde, und erhielt notärztliche Behandlung. Die Haftung des Beklagten als Kfz-Haftpflichtversicherer des Unfallgegners ist grundsätzlich anerkannt. Allerdings gibt es Streit über die Frage, ob die psychischen und physischen Beeinträchtigungen des Klägers unfallbedingt sind. Während die unfallbedingte Erwerbsunfähigkeit für etwa sieben Monate anerkannt wurde, wurden spätere psychische Beeinträchtigungen auf eine spezifische Vulnerabilität und unfallunabhängige Umstände zurückgeführt und nicht dem Unfall zugerechnet.
Körperliche Verletzungen nach Unfällen sind meist eindeutig feststellbar, während psychische Folgen bei Betroffenen oft weniger sichtbar sind. Betroffene haben jedoch Anspruch auf Entschädigung, wenn psychische Erkrankungen kausal auf das Unfallgeschehen rückführbar sind. Diese Kausalität kann jedoch fraglich sein, besonders bei bestehenden psychischen Vorbelastungen, Fehlverarbeitungen oder nur leichten Unfallfolgen. Höchstrichterliche Grundsätze wie die Begehrensneurose oder der Bagatellunfall spielen ebenso eine Rolle.
In seiner Entscheidung vom 19. März 2024 (Aktenzeichen 7 U 93/23) hat das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein die Berufungen beider Parteien teilweise berücksichtigt. Die Beklagte wurde zur Zahlung eines Verdienstausfallschadens und eines Schmerzensgeldes an den Kläger verurteilt, jedoch in einer geringeren Höhe als ursprünglich gefordert. Die Entscheidung beruht auf der Feststellung, dass der Kläger bis Ende März 2015 unfallbedingt erwerbsunfähig war, während eine darüber hinausgehende Erwerbsunfähigkeit aufgrund vorbestehender, unfallunabhängiger Umstände nicht anerkannt wurde. Bei einer psychischen Fehlverarbeitung des Unfallgeschehens kann die unfallbedingte Kausalität in drei Fallgruppen nicht gegeben sein: Bagatellunfall, Begehrensneurose des Geschädigten und überholende Kausalität.
Bei der „überholenden Kausalität“ ist der Schaden dem Schädiger nicht (mehr) zuzurechnen, wenn infolge einer Vorerkrankung oder psychischen Disposition auch ohne das Unfallereignis der Schaden zu einem bestimmten Zeitpunkt ganz oder teilweise eingetreten wäre. Die Beweislast für das Vorliegen einer Reserveursache obliegt dem Schädiger. Bei einer psychischen Vorbelastung des Geschädigten gilt zunächst aber der Grundsatz, dass der Schädiger auch für eine psychische Fehlverarbeitung einzustehen hat, wenn eine hinreichende Gewissheit besteht, dass die psychisch bedingten Ausfälle ohne den Unfall nicht eingetreten wären. Eine unfallbedingte Mitverursachung reicht insoweit aus.
Psychische Beeinträchtigungen sind häufig für Außenstehende nicht zu erkennen, belasten Betroffene aber immens. Eine juristisch sorgfältige Prüfung aller relevanten Umstände ist notwendig, um die Anspruchsvoraussetzungen und die Höhe der Entschädigung zu bestimmen.